16
Jan
2005

Kunst der Vereinfachung

Das Gehirn lässt Prozesse oder Prozessmomente bewusst werden, indem es diese vereinfacht. Diese Vereinfachung ermöglicht eine sichere Orientierung angesichts der Fülle von äußeren und inneren Einflüssen. Das Gehirn versteht sich von Natur aus auf die Kunst der Vereinfachung, um wichtige Geschehnisse übersichtlich darstellen zu können.

Der Mensch schaut der Natur die Kunst der Vereinfachung ab und ahmt diese nach, indem er philosophiert und mathematisiert. Das Gehirn hat nämlich den Menschen mit der Gabe ausgestattet, die neuronalen Prozessen des Vereinfachens zu betrachten. Dieser Fähigkeit der Selbstbetrachtung haben die Griechen schon sehr früh den Namen "Philosophie" gegeben. Sie haben nämlich eine Möglichkeit des Sehens entdeckt, die sich nur paradox bestimmen lässt. Die griechischen Philosophen haben die Möglichkeit entdeckt, Erscheinungen zu sehen, die sich sinlich nicht vernehmen lassen. Diese Entdeckung lässt sich auch so zum Ausdruck bringen: Mit Hilfe des geistigen Wahrnehmens lässt sich das schauen, was sich nicht sinnlich vernehmbar zeigt.

Das Ganze des sinnlich Vernehmbaren nannten die griechischen Philosophen "Physik". Und das Ganze des nicht sinnlich Vernehmbaren bestimmten sie folgerichtig als "Metaphysik". Die Metaphysik nahm Gestalt an in Form von Mathematik. In dem griechischen Ausdruck "Mathematik" verbergen sich die Worte "manthanein" und "techne". "Manthanein" bedeutet deutsch "wahrnehmen lernen", und "techne" steht für das deutsche Wort "Kunst". Mathematik wird von den griechischen Philosophen als Kunst das Wahrnehmen zu lernen verstanden oder auch als Kunst der geistigen Wahrnehmens. Ihrer Aufassung nach muss man das Sinnenfällige geistig wahrnehmen, um es sehen zu können.

Nicht anders geht das Gehirn vor. Es liefert uns das Sinnenfällige in Form von Gedanken, von denen sich wiederum die wichtigsten versprachlichen und so schriftlich festhalten lassen.

Wie wollen der Arbeit des Gehirns zuschauen, um zu erfahren, wie es dabei verfährt.

Bevor das Gehirn Erscheinungen bewusst werden lässt, vergleicht es alle Sinneseindrücke und unterscheidet diese nach Auffälligkeit und Wichtigkeit. Während des Vergleichens und Unterscheidens greift es auf bereits verfügbare Erfahrungen zurück, um herauszufiltern, was sich als neu herausstellt und was als bereits erledigt gelten darf. Alles, was sich aufgrund verfügbarer Erfahrungen von selbst erledigt, wird unbewusst vollzogen. Das, was sich als merkwürdig darstellt, weil sich hierfür keine Erfahrungen anbieten, wird so zurechtgelegt, dass es das Bewusstsein nicht überfordert. Das Zurechtlegen wird vor allem von der jeweiligen Stimmung und Einstellung beeinflusst. Das Gehirn redet den Sinnesreizen gleichsam aus, sich ins Bewusstsein zu drängen und dort als aufsässige Impulse Unfrieden zu stiften. Wir benutzen diese Technik häufig bewusst in Form von Ausreden. So ist eine schwierige Aufgabe, die uns sehr stark fordern und mangels Anstrengung wahrscheinlich auch überfordern könnte, selbstverständlich keine intelligente, sondern eine blöde Aufgabe. Und blöde Aufgaben kann man nur ablehnen. So meiden viele die Anstrengung einer mathematischen Auseinandersetzung mit der Ausrede, eine Mathematikblockade zu haben. Diese Ausrede schützt sie dann nicht nur gegenwärtig, sondern auch zukünftig vor dererlei Auseinandersetzungen.

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Während die Kunst der unbewusten Vereinfachung lediglich skizziert werden kann,lässt sich die Kunst der bewussten Vereinfachung sehr klar beschreiben. Die Kunst der bewussten Vereinfachung gipfelt in der Formulierung eindeutiger Funktionen bzw. Formeln.

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